Drama vor Westgrönland: Als mehrere Cuxhavener Seeleute ihr Leben verloren

aus Cuxhavener Nachrichten vom 10.06.2023
von Kai Koppe | 10.06.2023

Vor rund 60 Jahren sank das Fischereimotorschiff “München” vor Westgrönland. Bei dem Drama waren mehrere Cuxhavener Seeleute unter den Opfern.

Am 25. Juni 1963 führte Manuela die deutsche Hitparade an, die Kieler Woche nahm ihren Lauf und auf dem Frankfurter Römerberg jubelten 60.000 Menschen dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy zu. 2300 Meilen nordwestlich spielte sich an diesem Tag ein Drama ab, das als schwerstes Unglück der deutschen Hochseefischerei in die Geschichte eingehen sollte. Beim Untergang des Fischereimotorschiffes “München” fanden 27 von 42 Besatzungsmitgliedern den Tod.

Akte soll Geschehenes rekonstruieren

Dabei war der 64 Meter lange Trawler keineswegs in ungewöhnlich schweres Wetter geraten: Der Wind blies mit sechs bis sieben Windstärken aus Richtung Südost, auf der vor Westgrönland gelegenen Fyllasbank mag die graue See an diesem Morgen weiße Schaumkronen getragen haben. “Die Sicht war gut”, ist in einem vom Seeamt Hamburg zusammengestellten Untersuchungsbericht vermerkt. Diese Akte (ihr Inhalt stützt sich in wesentlichen Punkten auf Berichte der Überlebenden) bildet den Versuch, zu rekonstruieren, was zu dieser Tragödie geführt hat. Die Verfasser um Seeamtsdirektor Knaak sprechen die Schiffsführung von jeder Schuld frei, können, was die technischen Ursachen für plötzlichen einen Wassereinbruch angeht, aber nicht mehr als Vermutungen anstellen: Vielleicht lag es an einer defekten Rückschlagklappe…

Wassereinbruch auf dem Arbeitsdeck

Dass etwas nicht stimmte, merkte die Crew an Bord der “München” gegen 7.20 Uhr. Anders als üblich richtete sich das Schiff, das am selben Morgen noch Gasöl für einen letzten Fischzug vor der Heimreise gebunkert hatte, nicht wieder auf, nachdem es sich leicht nach Steuerbord übergelegt hatte. Horst Beckmann, wachhabender Steuermann und seines Zeichens Cuxhavener, bekam wenig später gemeldet, dass Wasser auf dem Arbeitsdeck stehe, steuerbordseitig etwa brusthoch. Zu diesem Zeitpunkt war die Besatzung noch weit davon entfernt, das Schiff für verloren zu geben; was in den folgenden Minuten auf der “München” ablief, war zunächst noch Teil einer Alarmroutine, in deren Zuge versucht wurde, zu lenzen und Gewicht auf die entgegengesetzte Schiffsseite zu bringen. Außerdem wurden diejenigen Seeleute geweckt, die sich in ihre Kojen zurückgezogen hatten, etwa der Matrose Klaus Gerber.

Vertrauen in das Schiff “München” war groß

Gerber, wie Beckmann ein Überlebender der Katastrophe und in späteren Jahren Kapitän, gehörte seinerzeit zu den “Youngsters” an Bord. Anlässlich des 40. Jahrestages des Unglücks hatte er in kleiner Runde bereits davon gesprochen, dass die Brisanz der Lage erst nach und nach deutlich wurde. Das Vertrauen in den nicht einmal zwei Jahre zuvor auf der Seebeckwerft gebauten Heckfänger war groß, und selbst als sich abzeichnete, dass man das an Schlagseite gewinnende Schiffverlassen musste, gab es Crew-Mitglieder, die noch einmal kehrtmachten, um ein paar Habseligkeiten zusammenzuraffen: Eine Stange Zigaretten wollte man, so unvernünftig sich das im Nachhinein möglicherweise auch anhört, auf keinen Fall dem Nordatlantik überlassen.

Weise Entscheidungen getroffen

Sofern es unter den genannten Umständen überhaupt ein “Richtig” und ein “Falsch” geben kann, traf Gerber (instinktiv womöglich) ein paar weise Entscheidungen, die ihn vor dem sicheren Tod bewahrt haben: Das klingt in einem Gespräch an, das der Ende 2019 Verstorbene zehn Jahre zuvor mit dem Journalisten Stefan Krücken geführt hatte. Hätte es das Schicksal weniger gut mit ihm gemeint, wäre der gebürtige Berliner nämlich in der zweiten von insgesamt drei zu Wasser gelassenen Rettungsinsel zu sitzen gekommen. Dieses Gummifloß war stark beschädigt worden, weil es (wie die anderen Rettungsmittel auch), noch auf dem sinkenden Schiff aufgeblasen und nicht nach der heute gängigen Praxis im Schutzbehälter über Bord geworfen wurde. Die Insel füllte sich mit eisigem Wasser, nur drei von 13 Insassen wurden später lebend geborgen.

Bilder von damals blieben präsent

Auf Messers Schneide stand es für elf Mann, die den inzwischen auf der Seite liegenden Trawler als letzte verließen: In ihre Rettungsinsel drang ebenfalls Wasser. Sie mussten beständig Luft nachpumpen und hatte darüber hinaus mitangesehen, wie der zwölfte Kamerad in den Fluten verschwand. Es handelte  sich um den Funker der “München”: Joachim Geißler, hatte auf unterschiedlichen Frequenzen Notrufe und Peilzeichen abgesetzt – selbst dann noch, als sich die Funkbude bereits mit Wasser füllte. Als er sich schließlich in Sicherheit bringen wollte, glitt er aus. “Bemühungen”, so konstatierte später  das Seeamt, “den Funker mittels eines auf der Brücke hängenden Feuerwehrschlauches  zu retten, schlugen fehl”. Posthum wurde dem Familienvater eine besondere Auszeichnung zuteil: An einem Funker-Ehrenmal im New Yorker Battery Park weist eine Namenstafel auf seinen selbstlosen Einsatz an Bord der “München” hin.

Die letzten vier Zeugen des “München”-Dramas

Vor 20 Jahren, anlässlich des 40. Jahrestages des Untergangs, hatte Geißlers Witwe die letzten vier Zeugen des Dramas auf der Fyllasbank zu einer Gedenkfeier ins damals neu gegründete Cuxhavener Fischereimuseum begleitet. Anschließend Kaffee auf der Fischmeile: Erst geht es um Namen, Geschichten (“Weißt Du noch, der Soundso?”). Dann sollen sie beschreiben: Was haben sie zum Unglückszeitpunkt gedacht und gefühlt? Die Männer geben ihr bestes. Doch man sieht ihnen an, wie schwer es fällt, darüber zu sprechen.

Gedenk-Veranstaltung in Cuxhaven

Der Förderverein Schifffahrtsgeschichte wird zum Jahrestag des Unglücks, am Sonntag, 25. Juni 2023, an den dann 60 Jahre zurückliegenden Untergang der FMS “München” erinnern. In den Räumen des Museums “Windstärke 10” ist eine öffentliche Veranstaltung (Beginn: 11 Uhr) geplant.


Übrigens: Sehen wir uns zum nächsten Filmabend? Heißer Tipp: Veranstaltungen anklicken.

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